Sung-Hee Lee-Linke (Hg)
„Mach dich auf meine Freundin“
- die sich erinnern schöpfen neue Kraft
zum Inhalt
14 Frauen stellen ihre Biographie vor: auf der Suche nach den Traditionen
aus Kirche und Gesellschaft, von denen sie geprägt wurden, mit
denen sie sich kritisch auseinandergesetzt haben. Darüber hinaus
kann sich jede Leserin mit Hilfe des im Buch abgedruckten „Fragebogen
zur Rekonstruktion der religiösen Biographie“ selbst auf die Spuren
ihrer eigenen Lebensgeschichte machen.
„Mache dich auf meine Freundin - eine Einladung ist dieses
Buch an die Leserinnen und Leser, ihre eigene Glaubensgeschichte wahrzunehmen,
aufzuschreiben und mit anderen auszutauschen.
Christlicher Glaube lebt von den Geschichten der Bibel und von unseren
Erfahrungen, die in Beziehung gesetzt werden zu diesen biblischen Geschichten,
zu den Traditionen unser Kirche,
den bekannten neu zu entdeckenden.
Lassen Sie sich ein auf das Wagnis, ihren eigenen Glauben
zu finden, zu formulieren, weiterzugeben. Frauen dürfen nicht länger
nur am Rande sein. Frauen heute müssen das Wort ergreifen und Zeugnis
ablegen, ihr Zeugnis, ihr Bekenntnis. So wird unsere Kirche österlich
sein und heilvoll für das Leben und für eine gute, hoffnungsfrohe
Zukunft.“
Bischöfin Maria Jespsen
zu den Autorinnen
Die Herausgeberin Sung-Hee Lee-Linke ist Studienleiterin an der ev.
Akademie der rheinischen Landeskirche in Mülheim. Die 14 Autorinnen
kommen bis auf eine Schweizerin alle aus NRW und sind zwischen
20 und 70 Jahre alt. Dabei sind von der behinderten Hilfsarbeiterin
bis zur Pfarrerin und promovierten Pädagogin die unterschiedlichsten
sozialen Schichten vertreten. Alle Autorinnen verbindet, daß sie
in dem Projekt „Gotteserfahrung in Frauenerfahrung“ an der Akademie
in Mülheim von 1995-1997 mitgearbeitet haben.
Leseprobe
Martha Oberfels: Meine Kindheit
Ich wurde 1936 als erstes von drei Kindern in Essen geboren. Die Geburt
war sehr schwierig. Mein Körper war schon blau angelaufen. Als
ich endlich durchatmen konnten, fiel ich anschließend durch dauerndes
Stöhnen auf. Eine Großmutter mutmaßte, daß ich
wohl nicht lange leben werde. Eine Nachbarin fragte meine Mutter nach
anderthalb Jahren, warum ich beim Zugreifen immer so zittere. Meine
Mutter meinte, daß das alle kleinen Kinder so machten. Dem war
leider nicht so, wußte die Nachbarin. Das Laufen verzögerte
sich auch. Daran merkten meine Eltern, daß ich behindert war.
Als ich in die Schule kam, führte meine Mutter mir so lange den
Stift, bis ich ihn mit der Hand alleine führen konnte. Zum Glück
konnte ich gut rechnen und lesen. Ich war ein hübsches Kind, und
niemandem fiel meine Behinderung auf, solange ich nicht lief oder sprach.
Zu dieser Zeit war eine Behinderung lebensbedrohlich.
Nach dem Krieg, als wir von der Evakuierung zurückgekehrt waren,
wurde meine Schwester Doris geboren. Ich durfte den Namen aussuchen.
Mutter meinte: „Gut, daß es ein Mädchen ist. Sie kann dir
später die Socken stopfen.“ Meine Schwester und ich sind heute
noch auf einer Wellenlänge, denn ich hatte sie schon im Kinderwagen
mit zur Stadtbücherei genommen. Damals fing mein Interesse für
die Weltgeschichte schon an - zugegeben, mit dem Lesen von Karl May,
denn mein Bruder war mit von der Partie, und Konzessionen müssen
gemacht werden. In der Schule glänzte ich außerdem im Aufsatz
und in Religion.
Als nach der Schulzeit feststand, daß ich keine
Lehrstelle bekommen würde, nahm ich mir vor, diese drei Dinge -
Literatur, Geschichte und etwas Theologie - nach Möglichkeit im
Eigenstudium kennenzulernen.
Paperback, 173 Seiten
10,50 €
ISBN: 978-3-929931-03-7